Friedrich Hölderlin

Daten und Fakten 
Geboren20.03.1770 in Lauffen
Gestorben07.06.1843, Tübingen
WirkungsstätteTübingen
TätigkeitsfeldKunst
LeistungBedeutender Lyriker
Friedrich Hölderlin

Friedrich Hölderlin, Pastell von Franz Karl Hiemer, 1792

Johann Christian Friedrich Hölderlin war ein Dichter, der zu den bedeutendsten Lyrikern seiner Zeit zählt. Sein Werk lässt sich innerhalb der deutschen Literatur um 1800 weder der Weimarer Klassik noch der Romantik zuordnen.

Friedrich Hölderlin

Friedrich Hölderlin war der Sohn des Klosterhofmeisters Heinrich Friedrich Hölderlin (1736-1772) und dessen Ehefrau, der Pfarrerstochter Johanna Christiana Hölderlin, geb. Heyn (1748-1828). Die Herkunftsfamilien der Eltern gehörten dem gesellschaftlichen Stand der Ehrbarkeit an. Hölderlins Mutter stammte aus einer württembergischen Pfarrersfamilie, die sich auf Regina Bardili, geb. Burckhardt (1599-1669), zurückführen lässt. Als Klosterhofmeister verwaltete der Vater seit 1762 in landesherrlichem Auftrag die Güter des ehemaligen Dominikanerinnenklosters in Lauffen am Neckar. Friedrich war das erstgeborene Kind. Im Jahr 1771 wurde seine nächstjüngere Schwester geboren, die nach einigen Monaten jedoch verstarb. Im Alter von zwei Jahren verlor Friedrich Hölderlin seinen Vater. Sechs Wochen nach dessen Tod kam Hölderlins Schwester Maria Eleonora Heinrica zur Welt, die "liebe Rike", so benannt in Hölderlins Briefen. Hölderlins Mutter heiratete 1774 Johann Christoph Gok (1748-1779), Weinhändler und später auch Bürgermeister in Nürtingen. Die Familie zog in Nürtingen in den sogenannten "Schweizerhof", ein repräsentatives Anwesen mit ländlichem Umgriff in der Neckarsteige, das Gok bereits vor der Heirat gekauft und renoviert hatte, aber nur mit Geld seiner Frau im Lauf der Zeit abzahlen konnte. Dieses Haus bewohnte die Familie bis 1798. Friedrich und seine Schwester Heinrike (* 15. August 1772) bekamen noch einen Bruder, Karl Gok (1776-1849). Als Hölderlin neun Jahre alt war, starb auch der Stiefvater, so dass die erst 31-jährige Mutter zum zweiten Mal Witwe wurde. In dem heute Hölderlinhaus genannten Gebäude verbrachte Hölderlin seine Kindheit und Jugend. Dem Wunsch der Mutter nach dem Pfarrersberuf zunächst folgend, besuchte Hölderlin die Lateinschule in Nürtingen und dann, nach der Konfirmation und nach bestandenem Landexamen, die evangelischen Klosterschulen (Gymnasien) in Denkendorf (Württemberg) und Maulbronn. Während des Studiums an der Universität Tübingen, als Stipendiat im Tübinger Stift, wo u. a. Karl Philipp Conz zu seinen Lehrern zählte, schloss er mit den späteren Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling Freundschaft. Darüber hinaus wurde Hölderlin in diesen Jahren von seinem Lehrer Nathanael Köstlin geprägt, den er wie einen Vater verehrte. "Der Mutter Haus" in der Nürtinger Neckarsteige blieb auch während der Studienjahre Aufenthalt für die Vakanzen und in den darauf folgenden Jahren immer wieder Zufluchtsort für den nach einer Stellung in der Gesellschaft suchenden Hölderlin. Hier schrieb er auch an seinem Hyperion, wobei ihn Bruder Karl unterstützte. Wegen der begrenzten finanziellen Mittel der Familie und Hölderlins schließlicher Weigerung, eine kirchliche Laufbahn einzuschlagen, war er zunächst als Hauslehrer für Kinder wohlhabender Familien tätig und 1793/94 mit dieser Tätigkeit bei Charlotte von Kalb in Waltershausen im Grabfeld betraut. Nach Forschungen unter anderem von Adolf Beck und Ursula Brauer soll er mit Wilhelmine Kirms, einer Angestellten Charlotte von Kalbs, ein Kind gehabt haben. 1794 besuchte er die Universität Jena, um dort Vorlesungen von Johann Gottlieb Fichte zu hören. Er lernte während dieses Aufenthaltes Johann Wolfgang von Goethe und den von ihm besonders verehrten Friedrich Schiller kennen. Auch machte er die Bekanntschaft Friedrich von Hardenbergs (Novalis) und, im Mai 1794, Isaac von Sinclairs, mit dem er ab April 1795 ein Gartenhäuschen in Jena bewohnte. Im Mai 1795 verließ Hölderlin die Universitätsstadt fluchtartig, weil er glaubte, sein großes Vorbild Schiller enttäuscht zu haben, und sich neben ihm nichtig wie ein kleiner Schüler fühlte. Verwirrt und mit Zeichen der Verwahrlosung tauchte er wieder in Nürtingen auf. 1796 wurde er Hauslehrer der Kinder Jakob Gontards, eines Frankfurter Bankiers. Hier begegnete er dessen Ehefrau Susette, die seine große Liebe wurde. Susette Gontard ist das Modell für die Diotima seines Briefromans Hyperion. Als Gontard von der Beziehung seiner Ehefrau zum Erzieher des Sohnes erfuhr, musste Hölderlin seine Tätigkeit im Haus des Bankiers beenden. Er flüchtete nach Homburg zu seinem Studienfreund Isaac von Sinclair. Hölderlin befand sich in einer schwierigen finanziellen Situation (obwohl einige seiner Gedichte mit Hilfe seines Gönners Schiller veröffentlicht wurden) und war auf die materielle Unterstützung durch seine Mutter angewiesen. Schon damals wurde bei ihm das Leiden an einer schweren "Hypochondrie" festgestellt; ein Zustand, der sich nach seinem letzten Treffen mit Susette Gontard 1800 verschlechterte. Im Januar 1801 begab sich Hölderlin in die Schweiz nach Hauptwil, um die jüngere Schwester des Kaufmanns Emanuel von Gonzenbach zu unterrichten. Er blieb drei Monate dort, bis ihm gekündigt wurde und er die Heimreise antreten musste. Anfang 1802 fand Hölderlin eine Tätigkeit als Hauslehrer der Kinder des Hamburger Konsuls und Weinhändlers Daniel Christoph Meyer in Bordeaux und reiste zu Fuß dorthin. Nach wenigen Monaten kehrte er aus ungeklärten Gründen zurück nach Württemberg. Gemäß dem Eintrag in seinem Pass überquerte er am 7. Juni 1802 die Rheinbrücke bei Kehl, erreichte Stuttgart aber erst Ende des Monats und in angeblich so verwahrlostem und verwirrtem Zustand, dass Freunde ihn zunächst kaum wiedererkannten. Spätestens hier erreichte ihn auch die Nachricht vom Tod Susettes, die am 22. Juni 1802 in Frankfurt an den Röteln gestorben war. Die Ereignisse in diesem Juni 1802 sind historisch unklar und Gegenstand divergierender Interpretationen (so von Adolf Beck, Pierre Bertaux und D. E. Sattler). Hölderlin kehrte zur Mutter nach Nürtingen zurück und stürzte sich in Arbeit. Er übersetzte Sophokles und Pindar, nach dessen Vorbild er auch seine eigenen Gesänge (oder Hymnen) konzipierte. Sein Freund Sinclair, der inzwischen Hessen-Homburger Regierungschef geworden war, verschaffte ihm 1804 eine Stelle als Hofbibliothekar; das Gehalt zahlte Sinclair aus eigener Tasche. Für den Homburger Landgrafen Friedrich V. entstand unter anderem der Gesang Patmos, eine Komposition "von überirdischem Maß" (Fried Lübbecke). Dieser war Teil eines großangelegten Zyklus vaterländischer Gesänge, von dem das berühmte Homburger Folioheft zeugt (darin unter anderem Entwürfe zu Der Ister, Griechenland, Die Titanen, Kolomb, Mnemosyne). 1805 wurde mit seinen Nachtgesängen auch das berühmte kurze Gedicht Hälfte des Lebens veröffentlicht. Im Februar 1805 wurde Sinclair auf Antrag des Kurfürsten Friedrich II. von Württemberg verhaftet und ein Hochverratsprozess gegen ihn angestrengt, der ergebnislos verlief. Die Ermittlungen gegen den angeblich darin verwickelten "württembergischen Untertanen" Hölderlin wurden bald eingestellt, nachdem der Homburger Arzt und Hof-Apotheker Müller in einem Gutachten vom 9. April 1805 berichtete, Hölderlin sei zerrüttet und sein Wahnsinn in Raserei übergegangen. Im August 1806 schrieb Sinclair an Hölderlins Mutter, er könne für seinen Freund nicht mehr sorgen. Am 11. September 1806 wurde Hölderlin mit Gewalt von Homburg nach Tübingen in das von Johann Heinrich Ferdinand Autenrieth geleitete Universitätsklinikum geschafft. Spätestens von diesem Zeitpunkt an galt Hölderlin seinen Zeitgenossen als wahnsinnig. Im Tübinger Klinikum erfolgte eine 231-tägige, für damalige Verhältnisse als fortschrittlich angesehene Zwangsbehandlung, offenbar in Folge der Autenriethschen Diagnose einer "Manie als Nachkrankheit der Krätze". Über die genauere Behandlung, mit deren Durchführung Autenrieth den Medizinstudenten und späteren Dichter Justinus Kerner beauftragte, ist wenig bekannt. Sicher ist jedoch, dass Hölderlin mindestens einmal, vermutlich aber wiederholt vierwöchige Zyklen medikamentöser Behandlungen über sich ergehen lassen musste. Diese provozierten neben möglichen Phasen von Sedierung und Beruhigung insbesondere intensive, sicher schmerzhafte und anhaltende (zum Teil blutige) Durchfälle. Aus den ersten Behandlungswochen stammt auch die einzige schriftliche Quelle, die Einblick in die Behandlungssituation gewährt. Im historischen Rückblick scheint die Behandlung in vielen Phasen eine geradezu traumatische Qualität gehabt zu haben; man kann kaum annehmen, dass das psychische Befinden Hölderlins sich dadurch verbessert hat. Über die genaue medizinische Bestimmung seiner geistigen "Verrückung" wurde insbesondere seit 1900 zwischen Literaturwissenschaftlern und Psychiatern vehement gestritten. Auch wenn diese Frage in historischem Rückblick wohl kaum je sicher geklärt werden kann, ist die von Pierre Bertaux vertretene Auffassung, Hölderlin habe seinen Wahnsinn nur simuliert, in solcher Vereinfachung aus heutiger Sicht falsch. Insbesondere aber besteht heute Einigkeit, dass auch eine genauere Bestimmung der medizinischen Diagnose, wenn sie denn möglich wäre, die Frage offenlassen müsste, wie seine späteren und spätesten Gedichte einzuschätzen sind, zumal eine eingehendere Beschäftigung mit dem Spätwerk – entgegen den Stimmen, welche die wachsende Ich-Verleugnung als Symptom "schizophrener Ich-Auflösung" verstehen – Interpretationsansätze erlaubt, die von einem bewussten, sich vom Subjektivismus seiner Zeit distanzierenden "Entichungswillen" ausgehen, der mitunter Merkmale einer parodistischen Abrechnung mit der herkömmlichen Ich-Lyrik aufscheinen lässt. 1807 kam Hölderlin, am 3. Mai von Autenrieth als "unheilbar" und mit der Aussicht auf nur wenige weitere Lebensjahre entlassen, zur Pflege in den Haushalt Ernst Zimmers, eines Tübinger Tischlers und Bewunderers des Hyperion. Hier bewohnte er als Mitglied des Haushalts und mit familiär-fürsorglicher Unterstützung, zuletzt durch Lotte Zimmer, eine Turmstube oberhalb des Neckars (Hölderlinturm). Zudem bestand eine Vormundschaft durch die Mutter, nach deren Tod 1828 durch den Oberamtspfleger Burk. Hölderlin war finanziell sowohl durch ein privates Erbe als auch durch eine Sonderrente vom württembergischen Hof abgesichert. Zwar nahm Hölderlin in den ersten Jahren nach dem Klinikaufenthalt das dichterische Schaffen wieder auf, jedoch zeigten sich häufig starke und länger andauernde Erregungszustände mit einer danach folgenden Apathie. Ein Hinweis darauf, dass ihm seine Situation bewusst war und wie er sie empfand, ist ein oft zitiertes Gedicht vom Januar 1811. Seit April 1812, als er eine schwere körperliche Erkrankung unklarer Diagnose durchmachte, wurden die Erregungszustände seltener und milder. Hölderlin dehnte seine soziale und künstlerische Aktivität aus, spielte beispielsweise viel Klavier. Auch nahm er die Korrespondenz mit der Mutter wieder auf, wenn er auch in seinen Briefen eigentümlich formelhaft blieb. Im Jahr 1813 erlebte er die Geburt von Lotte Zimmer, seiner späteren Pflegerin, die ihn den Rest seines Lebens begleitete. Nachdem sich Hölderlin in den Jahren ab 1816 stärker auf die Hausgemeinschaft zurückgezogen hatte, wurde er, offenbar unter dem Eindruck der Besuche Wilhelm Waiblingers ab 1822 (bis 1826), wieder vermehrt künstlerisch produktiv. Er unternahm mit Waiblinger lange und ausgedehnte Spaziergänge. 1826 erfolgte die Publikation einer ersten Werksammlung durch Gustav Schwab und Ludwig Uhland, jedoch ohne direkte Mitwirkung Hölderlins an der Herausgabe des Buches. Zwischen 1829 und 1837 wurde Hölderlin als "Tübinger Attraktion" zunehmend Opfer zahlreicher, von ihm nicht selten als störend empfundener Besuche von Fremden und Reisenden. Insbesondere diesen Fremden gegenüber verhielt er sich oftmals sehr befremdlich und in geradezu schauspielerischer Weise "verrückt". Ansonsten begrenzte er seine Kontakte auf die Hausgemeinschaft, brach den Kontakt mit seiner eigenen Familie ab und widmete sich seiner dichterischen Aktivität, wobei sich seine Gedichte dieser spätesten Jahre durch eine hohe formale Ordnung, eine gewisse Vereinfachung der Themenwahl (etwa "Jahreszeiten") sowie einen Verlust des dichterischen "Ich" auszeichnen. Ab 1837 verwendete er dann auch – wie bereits 1789/1799 ("D.", „Hillmar“) – Pseudonyme: "Buonarotti", "Scardanelli" (u. a. im dichterischen Schaffen). Ferner datierte er Gedichte teils Jahrzehnte bis Jahrhunderte in die Vergangenheit oder Zukunft. Nach dem Tod von Ernst Zimmer 1838 übernahm Lotte Zimmer die Verantwortung für die Pflege. Zwischen 1841 und 1843 kam Christoph Theodor Schwab, der dann 1846 eine erste Hölderlin-Biografie schrieb, mehrmals zu Besuch und regte Hölderlin zu neuer poetischer Tätigkeit an: In diesen Jahren entstand der Scardanelli-Liederzyklus. 1843 starb Hölderlin am 7. Juni um Mitternacht bei weitgehender körperlicher Gesundheit. Dem jungen Dichter Wilhelm Waiblinger, der Hölderlin bewunderte und in den 1820er Jahren wiederholt besuchte, ist nicht nur eine romantische Stilisierung des wahnsinnigen Hölderlin während dieser Zeit zu verdanken, sondern auch die Überlieferung des apokryphen, vielleicht den Gesängen zuzuordnenden Prosatextes In lieblicher Bläue. Als Wahnsinniger tritt Hölderlin auch in Maler Nolten auf, einem Roman von Eduard Mörike, der den Dichter ebenfalls in Tübingen besucht hatte. Außerdem erscheint Hölderlin als wahnsinniger "Freund Holder" in Justinus Kerners Reiseschatten. Es wird berichtet, Zimmer habe Aufzeichnungen Hölderlins aus den letzten Jahren in großen Mengen vernichtet. Die Grabstätte Friedrich Hölderlins ist auf dem Tübinger Stadtfriedhof erhalten. Das Grabmal wurde 1844 auf Veranlassung von Hölderlins Halbbruder Karl Gok gesetzt und trägt als Inschrift eine Gedenkzeile Karl Goks an seinen Bruder, den Dichter Friedrich Hölderlin. Hölderlins Bedeutung als Dichter beruht auf seinem lyrischen Werk. Er bevorzugte die hohen Formen der Poesie (Hymne, Ode, Elegie). Die Schülergedichte lassen den Geist des Pietismus erkennen. Hölderlin beklagt die lebensfeindliche Enge der Klosterschulen; seine Gedichte sind von Melancholie, Einsamkeit und Rückzug in die Innerlichkeit geprägt. Vorbilder sind die Dichter der Empfindsamkeit, Klopstock und der junge Schiller. Der Bruch mit der Jugenddichtung erfolgte erst im Jahre 1790, als Hölderlin bereits zwei Jahre im Stift war. Hölderlin begrüßte begeistert die französische Revolution, begann sich mit Kants kritischer Philosophie auseinanderzusetzen und las intensiv griechische Literatur und Philosophie. Das antike Griechenland stellte das Leitbild dar, das Hölderlin der feudalabsolutistischen Unterdrückung seiner Gegenwart entgegensetzte. Die frühen Tübinger Hymnen feiern die Befreiung der Menschheit und bleiben doch an die Harmonievorstellungen des 18. Jahrhunderts gebunden. Jochen Schmidt urteilt: "Getragen sind alle diese Reimhymnen von einer idealistisch-abstrakten Emphase, die das Konkrete und Reale überhöht und verflüchtigt." In Menschenbeifall (1796) kritisiert Hölderlin das leere Pathos der frühen Hymnen selbst. In den Jahren 1794-1798 konzentrierte sich Hölderlin auf seinen Roman, den Hyperion. Das lyrische Werk trat dem gegenüber zurück. Hölderlin bildet dennoch in dieser Zeit seine Meisterschaft in der Oden-Dichtung aus. Die meisten Oden der Frankfurter Zeit sind Kurzoden mit zwei oder drei Strophen, die zum Teil später weiter ausgearbeitet werden. Verglichen mit dem Hymnus erfordert die strenge Form der Ode Konzentration und große geistige Disziplin. In den Oden findet Hölderlins pantheistische Weltanschauung ihren Ausdruck, die sich am antiken Pantheismus, an Spinoza, am spinozistischen Schrifttum seiner Zeit und am Naturkult Rousseaus orientiert. Nach der Trennung von Susette Gontard steht zunächst die Elegiendichtung im Vordergrund. Hölderlin wird von einem tragischen Lebensgefühl ergriffen. Parallel zu den Homburger Fragmenten über Ästhetik und Poetologie nimmt die dichterische Selbstreflexion in Hölderlins lyrischen Arbeiten breiten Raum ein. Die späten Hymnen haben Hölderlins Ruhm im 20. Jahrhundert begründet. Da viele von ihnen aus mehreren Bearbeitungsschichten bestehen, ist die Edition schwierig. Vorbild für Hölderlin ist Pindar, ein griechischer Lyriker aus dem 6./5. Jahrhundert v. u. Z., den Hölderlin im Jahre 1800 intensiv las. Die freien Rhythmen und den Strophenbau hat Hölderlin von ihm übernommen. Das zentrale Motiv Hölderlins ist durch die hymnische Gattungstradition vorgegeben. Es ist Aufgabe des Hymnus, die Epiphanie (Erscheinung) des Gottes zu rufen. Hölderlin will das Wesen des Göttlichen, dessen Verhältnis zum Wirklichen und zur Poesie verstehen. Das Absolute muss sich im Irdischen ausdrücken, da sich das Göttliche nicht selbst fühlt. Hölderlin wähnte sich nach der französischen Revolution in einer Zeit der Götterferne. Während der "heiligen Nacht" (Brot und Wein, V. 123) sei es Aufgabe des Dichters, den Gedanken der Menschen an ein höheres Leben wachzuhalten. Eine wichtige Rolle spielen die Halbgötter in Hölderlins Spätwerk, Dionysos, Herakles und Prometheus. Sie sind menschlich-göttliche Zwischenwesen, Vermittler von Gott und Mensch. Dionysos ist der Sohn des Zeus und der thebanischen Königstochter Semele (Wie wenn am Feiertage, V. 45-49). In Brot und Wein wandert der kulturstiftende Weingott Dionysos von Osten nach Westen. In Hesperien, dem Abendland, wird die griechische Kultur vollendet. Deutschland soll dabei eine wichtige Rolle zukommen (Gesang der Deutschen, Germanien). Die Dichter sind Priester und Seher. Ihre Aufgabe ist ehrenvoll, aber gefährlich. Sie können der Versuchung erliegen, sich nicht mit dem irdischen Zeichen der Erscheinung zu begnügen, sondern Gott unmittelbar erfahren zu wollen. Die Strafe der Götter für diesen Frevel wird durch die Metapher des Feuers (Patmos, V. 89-93) ausgedrückt. Wer die Ungleichheit von Göttlichem und Menschlichem nicht dulden will, wird von den Göttern vernichtet. Wer das Göttliche mit dem Menschlichen vermischt, ist ein falscher Priester (Wie wenn am Feiertage, V. 70-73). Das Gegengewicht zum dichterischen Enthusiasmus Hölderlins bildet die Anerkennung der objektiven Ordnung der Welt. Ein großer Teil der späten Lyrik Hölderlins ist von der geschichtlichen und mythischen Erinnerung getragen. Hölderlin geht in seiner Spätdichtung vom antik-zyklischen Denken, Geschichte als Wiederkehr des Gleichen zu begreifen, zum teleologischen Geschichtsmodell über (Friedensfeier, Der Einzige, Patmos). Die göttlichen Mächte der antiken und christlichen Welt, Herakles, Dionysos und Christus, vereinigen sich. Die Geschichte wird als Prozess der Vergeistigung begriffen. Die Hymne Friedensfeier betrachtet den Frieden von Lunéville, der den ersten Koalitionskrieg beendete, nicht primär als historisches Ereignis, sondern im Sinne des Chiliasmus, der ein Reich innerweltlicher Gerechtigkeit vor dem jüngsten Gericht voraussah. In seiner späten Lyrik bestimmt Hölderlin das Verhältnis von griechischer und christlicher Religiosität neu. Dabei gewinnt das Christentum an Bedeutung. In Brot und Wein tritt Christus als letzter der antiken Halbgötter in Erscheinung. Der glanzvollen Göttergestalten der Antike, sichtbar an der Plastik, wird die christliche Innerlichkeit, die Vergeistigung des Äußeren, entgegengestellt. Dionysos wird als Friedens- und Heilsbringer Christus angenähert. Die synkretistischen Vorstellungen Hölderlins lassen einen eindeutigen Vorrang Christi gegenüber den griechischen Halbgöttern jedoch nicht erkennen. Andererseits erscheint Gott aber als "Vater der Erde" (Der Einzige, 2. Fassung, V. 90). Am Ende des Geschichtsprozesses, der mit dem klassischen Griechenland begonnen hat, hebt sich auch das Christliche im Allgemeinen des Vaterländischen, d. h. einer säkularisierten Gesellschaft, auf. In einigen Gedichten kündigt sich Hölderlins Krankheit an. Nach der Trennung von Susette Gontard wird Hölderlin von einem Gefühl der Heimatlosigkeit ergriffen. In Hölderlins Spätlyrik wird ein bedrohlicher Entgrenzungsdrang sichtbar (Mnemosyne, V. 13-17, 22-34). In Chiron widersetzt sich Hölderlin dieser Tendenz zum Ekstatischen und Selbstzerstörerischen. Auch in formaler Hinsicht ist Hölderlins Spätdichtung durch extreme Widersprüche geprägt. Schmidt nennt als Merkmale "kühne Metaphorik und zugleich abstrakte Härte, glühende Bildfülle und schlichtes Sagen, weitgespannte, rhythmisch stark bewegte Großperioden und lapidare Kürze". Schwer verständlich ist Hölderlins mythologisch und historisch aufgeladene Bildersprache. Der Ton seiner Hymnen ist feierlich, prophetisch und visionär. Hölderlins Dichtung strebt zum Göttlichen; seine Imagination überwindet, den Wanderungen des Dionysos vergleichbar, Länder und Meere. Die Entstehung des Romans Hyperion reicht bis in die Tübinger Zeit zurück. Im Jahre 1797 erschien der erste Band, 1798 der zweite. Hölderlins Protagonist Hyperion beteiligt sich am griechischen Aufstand gegen die türkische Fremdherrschaft im Jahr 1770. Im Hintergrund stehen jedoch Probleme der Gegenwart: die Möglichkeiten revolutionären Handelns nach den Erfahrungen des Ersten Koalitionskriegs, den Frankreich gegen die europäischen Monarchien führte. Das Leben des Menschen wird, analog zu den Umläufen der Planeten, im Bild der exzentrischen Bahn gefasst: Die ursprüngliche Harmonie des Kindes geht im Prozess der Ausbildung des Selbstbewusstseins verloren und führt zur Vereinzelung. Zugleich eröffnet die Lebensbahn des Menschen wie die Entwicklung der Menschheit jedoch auch die Möglichkeit, die ursprüngliche Harmonie auf höherer Stufe wiederzugewinnen. Die exzentrische Bahn des Menschen ist notwendig: Der junge Mensch tritt aus der kindlichen Unschuld heraus. Da ihm jedoch die Einsicht fehlt, neigt er zu Irrtümern. Not, Leid und Trauer stärken den Menschen. Auf einer kleinen griechischen Insel aufgewachsen, zieht Hyperion in die Welt, um die Sitten und Gebräuche der Völker kennen zu lernen. In Smyrna schließt er Freundschaft mit Alabanda, mit dem er schwärmerisch das Bild einer freien und schönen Gesellschaft entwirft. Ihre Wege trennen sich jedoch bald. Während Alabanda für den revolutionären Umsturz durch eine Verschwörergruppe ("Bund der Nemesis") eintritt, setzt Hyperion auf eine evolutionäre Entwicklung. Resigniert und melancholisch zieht sich Hyperion auf seine heimatliche Insel zurück, gewinnt jedoch durch die Begegnung mit dem Mädchen Diotima wieder Kraft und Selbstbewusstsein. In den Ruinen von Athen beschließt Hyperion unter dem Einfluss Diotimas Erzieher seines Volkes zu werden. Zu Beginn des zweiten Bandes schließt sich Hyperion dem griechischen Aufstand gegen die Türken an und erneuert dabei seine Freundschaft mit Alabanda. Er wird jedoch bitter enttäuscht, da die Freischärler zu plündern beginnen. Hier sind deutliche Beziehungen zur Kriegsführung der französischen Revolutionsarmeen zu erkennen. Alabanda und Hyperions Liebe, Diotima, verkörpern die beiden Seiten des Protagonisten: der Umstürzler und Tatmensch Alabanda das heroische Streben Hyperions, Diotima, eine vollendete Schönheit, hingegen Bedürfnislosigkeit, Selbstgenügsamkeit, Einklang mit der Natur, Ruhe und Frieden. Nach dem Tode Alabandas und Diotimas geht Hyperion vorübergehend nach Deutschland. In seiner berühmten Scheltrede wirft er den Deutschen Barbarei, sklavische Gesinnung, Unnatur und Unverständnis für das Genie vor. Trotz seines Scheiterns gewinnt Hyperion am Ende den Glauben an den Sinn seines Lebens zurück, in einem pantheistischen Bekenntnis zur Harmonie der Natur. Als Dichter versucht Hyperion dieses religiöse Bewusstsein im Volk zu wecken, in dem er aus der Rückschau seinen Lebensweg schildert und reflektiert. Hyperion ist der letzte der empfindsamen Briefromane des 18. Jahrhunderts, einer Tradition, die von Richardsons Pamela und Clarissa, über Rousseaus Neue Héloise bis zu Goethes Die Leiden des jungen Werthers reicht. Die meisten Briefe Hyperions sind an Bellarmin, einen Deutschen gerichtet; der Roman ist überwiegend monologisch. Eine Ausnahme bildet der Briefwechsel zwischen Diotima und Hyperion im Ersten Buch des Zweiten Bandes. Obwohl Hölderlin Rousseau und Goethe überbieten wollte, war der Erfolg seines Romans mäßig. Im Gegensatz zu Goethes Werther, einer simplen Dreiecksgeschichte, in der jedoch Menschen von Fleisch und Blut handeln, sind Hölderlins Figuren typisiert: Hyperion verkörpert den elegischen, Alabanda den heroischen, Diotima den naiven Typus. Der Hyperion gilt als das "am meisten lyrische von allen deutschen Prosawerken". Die Briefe Hyperions sind teils aus dem unmittelbaren Erleben gestaltet, teils erinnernd und reflektierend. Erinnerung und Reflexion bringen am Ende die Konflikte des Lebens zum Ausgleich. Nach dem Abschluss des Hyperion nahm Hölderlin ein Dramenprojekt, den Tod des Empedokles, in Angriff (Ende 1797). Empedokles war ein griechischer Philosoph, Arzt und demokratischer Politiker, der im 6. Jh. v. u. Z. in Akragas (Agrigent, Sizilien) lebte. Angeblich machte er seinem Leben selbst dadurch ein Ende, dass er sich in den Ätna stürzte, um sich vollkommen mit der Natur zu vereinigen. Diese Legende wurde bereits in der Antike angezweifelt. Wahrscheinlich starb Empedokles im Exil auf dem Peloponnes. Überliefert sind drei Fassungen, von denen keine einzige zu Ende geführt wurde. Im Frühjahr 1800 stellte Hölderlin die Arbeit am Empedokles ein. Im zweiten Akt der ersten Fassung lässt Hölderlin den Protagonisten sein eigenes republikanisches Bekenntnis aussprechen: "Dies ist die Zeit der Könige nicht mehr." (V. 1418) Den historischen Hintergrund des Dramas bilden die Krise des Direktoriums in Frankreich und schließlich der Staatsstreich Napoleon Bonapartes 1799. Hölderlin scheiterte an seinem Dramenprojekt, da er die Gesetze der Gattung nicht beherrschte – und dies obwohl er die Tragödie als höchste der literarischen Gattungen betrachtete. Die Fragmente Grund zum Empedokles und Das untergehende Vaterland, etwa zeitgleich mit den Entwürfen zum Empedokles entstanden, vereinen geschichtsphilosophische und ästhetische Fragestellungen. Der erste Text enthält Überlegungen zum Dramenprojekt, zur Dialektik von Natur und Kunst im Empedokles; der zweite bezieht sich auf durch die Französische Revolution entstandene historische Umbruchsituation, auf die Furcht der Menschen vor dem Neuen und deren Überwindung durch bewusste Erinnerung. Eine Fortsetzung der Beschäftigung Hölderlins mit der Tragödie bilden die Anmerkungen zur Antigone und zum Oedipus, die er seinen Übersetzungen dieser beiden Tragödien des Sophokles beifügte. Es handelt sich um Interpretationen auf höchstem Niveau. Die Bedeutung Hölderlins für die frühidealistische Philosophie nach Kant in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts ist erst in den vergangenen fünfzig Jahren in vollem Umfang erkannt und gewürdigt worden. Hölderlins philosophische Grundposition kann durch den All-Einheits-Gedanken charakterisiert werden, d. h. durch die Einheit der Natur und des Menschen mit der Natur. Daher ist die Aktualität Hölderlins angesichts der gegenwärtigen ökologischen Krise unumstritten. Hölderlin orientierte sich am antiken Pantheismus und an der Philosophie Spinozas, für den es nur eine Substanz, Gott oder die Natur, gab. Der wichtigste Denker für Hölderlin war Platon. Für Hölderlins Platon-Rezeption waren der Renaissancephilosoph Ficino (1433-1499) und die Vertreter der Vereinigungsphilosophie, einer platonisierenden Nebenströmung im Denken des 18. Jahrhunderts, Hemsterhuis (1721-1790) und Herder (1744-1803), richtungsweisend. Die Vereinigungsphilosophie stellte einen Versuch dar, die Trennungen, unter denen der Mensch denkt und lebt, aufzuheben. Hölderlins Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Subjektivitätsphilosophie Kant und Fichtes war teils affirmativ, teils kritisch. Den Ansatz Fichtes, sein System aus einem obersten evidenten Prinzip, dem absoluten Ich, herzuleiten, lehnte Hölderlin ab. Selbstbezüglichkeit (Ichheit) und Absolutheit schließen sich für ihn aus. Das Ich beruht bereits auf einer Trennung, derjenigen von Subjekt und Objekt. Daher kann es nicht höchstes Prinzip der Philosophie sein. Andererseits stand Hölderlin Fichtes Dialektik der Wechselbestimmung (Ich und Nicht-Ich bestimmen sich gegenseitig) positiv gegenüber. Dies gilt auch für den Begriff des Strebens, der für Fichtes praktische Philosophie zentral ist. Nach Hölderlin muss der Mensch einerseits nach dem Unendlichen streben, andererseits aber nach Beschränkung. Der Mensch kann nicht gottähnlich sein, darf aber auch nicht zum Tier herabsinken. Von November 1794 bis Mai/Juni 1795 hielt sich Hölderlin in Jena auf, wo er Fichtes Vorlesungen hörte. Die Auseinandersetzung mit Fichtes Denken mündete in eine grundsatzphilosophische Skizze, die in der Großen Stuttgarter Hölderlin Ausgabe den Titel Urteil und Sein trägt. Urteil bezeichnet nach Hölderlin die ursprüngliche Trennung von Subjekt und Objekt, Sein hingegen das ursprüngliche Ganze. Dieses Sein stellt keine Letztbegründung der Philosophie (wie Fichtes absolutes Ich) dar, sondern eine notwendige Voraussetzung der Subjekt-Objekt-Beziehung. Es ist nur in unendlicher Annäherung erkennbar, dem Menschen als einem endlichen Wesen aber im Schönen anschaubar. Bei Platon ist das Schöne diejenige Idee, die den Sinnen am ehesten zugänglich ist (Phaidros 250d). Für Kant und Fichte gilt der Primat der praktischen Philosophie, der Ethik, für Hölderlin ist die Ästhetik die Königsdisziplin der Philosophie. Bei den Vorbereitungen zu einer literarischen Zeitschrift (das Projekt scheiterte) entfaltet Hölderlin seine Ästhetik und Poetologie in mehreren Manuskripten in systematischer Form. Diese sog. Homburger Fragmente entstanden im Jahre 1799. Grundlegend für diese Fragmente war Hölderlins Lehre vom Wechsel der Töne. Hölderlin scheint dabei Schillers Unterscheidung von naiver und sentimentalischer Dichtung weiterentwickeln zu wollen. Er wendet die Lehre vom naiven, heroischen und idealischen Ton zunächst auf die literarischen Gattungen Lyrik, Epik und Dramatik (Tragik) an. Der Wechsel der Töne besteht im Hinblick auf die Epik im heroischen Grundton, dessen Darstellung (Erscheinung) naiv sein muss. In der Lyrik ist der Grundton naiv, die Darstellung (Hölderlin nennt diese den "Kunstcharakter") idealisch. Die höchste Gattung ist die tragische (Grundton idealisch, Erscheinung heroisch). Die "Töne", die man auch als Formen bezeichnen kann, werden von Hölderlin also nicht nur auf das einzelne literarische Werk bzw. auf die Gattungen angewendet. In ihnen drücken sich die drei grundsätzlichen Weltverhältnisse des Subjekts aus (naive Hingabe an die Welt, heroische Eigenmacht gegenüber der Welt, idealischer Ausgleich beider Tendenzen). Den Beziehungen des Subjekts gegenüber der Objektwelt entsprechen die Lebensalter Kindheit, Jugend und Reife. Im Fragment Über den Unterschied der Dichtarten legt Hölderlin seine Auffassung von der Tragödie als höchster Gattung dar. Der Text Über die Verfahrungsweise des poetischen Geistes stellt das umfangreichste der Fragmente Hölderlins dar; es ist nicht nur ein poetologischer, sondern auch ein metaphysisch-spekulativer Text, der das Thema der notwendigen Vereinigung von Subjekt und Objekt im Sein variiert und zum Ausgangspunkt einer differenzierten Ästhetik und Poetik macht. Hölderlin hat kein einziges seiner philosophischen Manuskripte ausgearbeitet und veröffentlicht. Dennoch übte er einen großen Einfluss auf seine Studienfreunde Schelling und Hegel aus. Von beiden war er als philosophischer Gesprächspartner anerkannt. Von 1797 bis 1800 war er Hegels philosophischer Mentor. Seine Vereinigungsphilosophie war von großer Bedeutung für die Dialektik Hegels. Zu Hölderlins Lebzeiten wurde nur ein Teil seines lyrischen Werkes veröffentlicht, und erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden einige bis dahin unbekannte Texte aus der Zeit nach 1800 herausgegeben; zuvor waren vom Spätwerk fast nur die sogenannten Nachtgesänge bekannt. Die ersten Bemühungen um die Edition des handschriftlichen Nachlasses unternahm Wilhelm Böhm. Seine Ausgabe wurde abgelöst von den beiden historisch-kritischen Ausgaben von Franz Zinkernagel und Norbert von Hellingrath. Die besonderen Schwierigkeiten, die Hölderlins Handschriften bereiten, führten dazu, dass Friedrich Beißner bereits 1943 einen dritten Versuch einer wissenschaftlichen Ausgabe des Gesamtwerkes unternahm (Stuttgarter Ausgabe). Die zunächst als endgültig angesehene Textgestalt, die Beißner herstellte, wurde in den 1970er Jahren Gegenstand schärfster Kritik von Seiten D. E. Sattlers, der 1975 eine vierte Gesamtausgabe begann (Frankfurter Ausgabe). Deren Herzstück, die Bände 7 und 8 mit den Gesängen, wurde einerseits begrüßt und andererseits von Hölderlinforschern und Editionsphilologen anderer Ausgaben abgelehnt. Der Streit um den Hölderlintext entzweite die Forschung jahrelang und ist bis heute zu keinem Ende gekommen. Wegen der unterschiedlichen Entscheidungen, welche die Herausgeber trafen, existiert heute für zahlreiche Werke kein einheitlicher Text. Dies gilt vor allem für die Hymnen und Entwürfe aus dem Homburger Folioheft sowie für die Entwürfe zu dem Drama Der Tod des Empedokles und für viele weitere Gedichte. Von der Stuttgarter Ausgabe leitet sich die kommentierte Leseausgabe von Jochen Schmidt her, von der Frankfurter Ausgabe die Edition von Michael Knaupp. Da auch Schmidt und Knaupp eigenständige Entscheidungen bei der Textherstellung trafen, konkurrieren derzeit also vier Ausgaben mit zum Teil erheblich voneinander abweichenden Texten, so dass selbst der am bloßen Wortlaut interessierte Leser gezwungen ist, auf die in der Frankfurter Ausgabe wiedergegebenen Reproduktionen der Handschriften zurückzugehen. Hölderlins Poesie, die heute unbestritten als ein Höhepunkt der deutschen und abendländischen Literatur gilt, war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Ausgabe der 1826 erschienenen Gedichte immerhin unter Schriftstellern nicht unbekannt. Begeisterung erregte er unter den Anhängern der Heidelberger Romantik, besonders Clemens von Brentano und Achim von Arnim, die in einigen Ausgaben ihrer Zeitung für Einsiedler Hölderlins Gedichte abdruckten. Ersterer bekannte, dass Hölderlin "sein höchstes Ideal" sei. Joseph Görres erinnerte 1804 in seiner Zeitschrift Aurora an den Dichter und lobte ein Jahr später den Roman Hyperion. Wilhelm Waiblinger, der Hölderlins Roman in seinem Phaeton nachahmte, verfasste 1827/28 die erste Biographie Friedrich Hölderlins Leben, Dichtung und Wahnsinn. Nach 1848 wurde sein lyrisches Werk aber weitgehend ignoriert; Hölderlin galt als junger romantischer Melancholiker und bloßer Nachahmer Schillers. Friedrich Nietzsche aber schätzte ihn hoch; Motive seiner Kritik an einem vereinseitigt apollinischen Bild der griechischen Kultur gehen auf Hölderlin zurück. Die große Nachwirkung im 20. Jahrhundert setzte mit Stefan George ein; die wissenschaftliche Erschließung begann im Jahr 1910 mit der Dissertation von Norbert von Hellingrath, in welcher der Stil des Hölderlinschen Spätwerks und die Eigenart seiner Übersetzungen aus Pindar erstmals in adäquater Weise beschrieben wurden. Abseits einer eher konservativen oder deutsch-nationalistischen Hölderlin-Rezeption haben sich auch dezidiert linke Leser mit dem Dichter beschäftigt. Dazu zählen neben Georg Lukács und Peter Weiss auch Anarchisten wie Gustav Landauer und Rudolf Rocker. Obwohl Hölderlins hymnischer Stil in der deutschen Literatur einmalig geblieben ist, hat seine prägnante und häufig fragmentarische Lyrik tiefgehenden Einfluss auf die Poesie z. B. von George, Heym, Trakl, Celan, Bachmann und auf viele weitere – von jüngeren Autoren etwa Gerhard Falkner – ausgeübt. Seine patriotischen Gedichte (etwa die Ode Der Tod fürs Vaterland) waren während der Zeit des Nationalsozialismus und der beiden Weltkriege besonders populär. Ihr freiheitlich-republikanischer Hintergrund wurde in dieser Zeit jedoch verschwiegen. Hölderlins Übersetzungen der Dramen König Ödipus und Antigone von Sophokles fanden nach deren Erscheinen nur geringe, aber zum Teil begeisterte Aufnahme, so vor allem in Bettina von Arnims Buch Die Günderode, einem Werk über Karoline von Günderrode. Von der Seite der Philologen (vor allem von Heinrich Voß, dem Sohn von Johann Heinrich Voß) und auch von Schiller sind dagegen scharf ablehnende Äußerungen überliefert. Erst im 20. Jahrhundert wurde ihre Bedeutung als Modell einer poetischen Übersetzung erkannt (beispielsweise beruht Bertolt Brechts Bearbeitung der Antigone des Sophokles auf Hölderlins Übertragung), welche die Fremdheit des griechischen Textes sichtbar macht, anstatt sie zu eliminieren. Hölderlins philosophische Bedeutung beruht auf seiner Kritik der Fichteschen Wissenschaftslehre und auf seinem Gegenentwurf, den er in der zweiseitigen Studie Urteil und Seyn niederlegte, die erst im Jahr 1961 veröffentlicht wurde. Auch die übrigen philosophischen und poetologischen Ausarbeitungen sind fragmentarisch und außerordentlich schwierig. Insbesondere Dieter Henrich hat in umfangreichen Studien Hölderlins philosophischen Ansatz herausgearbeitet und die Diskussionszusammenhänge beschrieben, in denen er sich ausbilden konnte. Hölderlins dominierende Rolle in der philosophischen Gemeinschaft mit Sinclair und Hegel in Frankfurt und Bad Homburg hat zur Ausbildung der Grundgedanken beigetragen, die Hegel schließlich zu seiner Philosophie des Geistes führten. Der gedankliche Gehalt des hymnischen Spätwerks wurde immer wieder zum Anlass philosophischer Auslegungen, so bei Martin Heidegger und – ablehnend gegenüber Heideggers Deutungen – bei Theodor W. Adorno. Ausgehend von spärlichen Überlieferungen und geprägt durch die literarisch verarbeiteten Erfahrungen von Zeitzeugen, blieb Hölderlins Wahnsinn bis 1900 eine Randnotiz im psychiatrischen Diskurs. Das Interesse an einer möglichst eindeutigen Diagnose ging dabei zunächst nicht von den Psychiatern, sondern von Literaturwissenschaftlern aus. Der Germanist Franz Zinkernagel stellte dem Psychiater Robert Eugen Gaupp, der von 1906 bis 1936 der Universitätsnervenklinik Tübingen vorstand, die Frage, wann genau die Erkrankung begonnen habe, weil er die als "krank" und damit als "sinnlos" zu wertenden Gedichte von einer Gesamtausgabe ausschließen wollte. Gaupp wiederum beauftragte seinen Assistenten Wilhelm Lange-Eichbaum, der bei Emil Kraepelin zur Dementia praecox (später: Schizophrenie) promoviert worden war. Dieser fand zwar nicht die bis heute verschollene Krankengeschichte, die Justinus Kerner im Auftrag Autenrieths geführt haben muss, aber immerhin das Rezeptbüchlein – die bis heute einzige direkte klinische Quelle zu Hölderlins Behandlung im Tübinger Klinikum. In Wilhelm Langes 1909 erschienener Arbeit Hölderlin vertrat er vor dem Hintergrund eines positivistischen Wissenschaftsverständnisses psychiatrischer Krankheitskategorien im Stile Kraepelins die These, dass Hölderlin ab Mai 1801 an einer schizophrenen Erkrankung gelitten habe. Lange und Zinkernagel waren sich darin einig, dass die literarischen Arbeiten Hölderlins ab dem Zeitpunkt seiner schizophrenen Erkrankung als "sinnfrei" einzuordnen seien – eine aus heutiger Sicht unzulässige Aussage. Der Sinnhaftigkeit eines solchen Unternehmens widersprach bereits 1915 Norbert von Hellingrath, Herausgeber der ersten historisch-kritischen Ausgabe von Hölderlins Werken. Denn, so sein Argument, die geistigen Produkte eines "Geistesgestörten" könnten durchaus sinnhaft sein. Ähnlich äußerte sich auch Karl Jaspers mit seinem berühmt gewordenen Ausspruch: "Es ist unfruchtbar, auf Hölderlin’sche Dichtungen grobe psychopathologische Kategorien anzuwenden." Jedoch blieb Jaspers wie die meisten Psychiater bis in die 1980er Jahre hinein bei der Bewertung Hölderlins doppeldeutig. Gaupp selbst gehörte bereits 1910 dem Vorstand der Gesellschaft für Rassenhygiene an und war in der Weimarer Republik ein entschiedener Befürworter der rassenhygienischen Zwangssterilisierung; er gilt als einer der Wegbereiter der nationalsozialistischen "Rassenhygiene". 1931 hielt er an der Tübinger Nervenklinik einen Vortrag "Der Kampf gegen die Entartung unseres Volkes vom Standpunkt des Arztes". An derselben Klinik entstand 1935 – also noch unter Gaupps Leitung – die Dissertation Die seelische Erkrankung Friedrich Hölderlins in ihren Beziehungen zu seinem dichterischen Schaffen. Der Verfasser Rudolf Treichler lobt darin Langes Arbeit als "grundlegende Hölderlin-Pathographie", nimmt aber eine im Vergleich zu Lange und auch im Vergleich zu Gaupps Fanatismus fortgeschrittene Position ein: Er lehnt ausdrücklich eine Psychiatrisierung des künstlerischen Schaffens ab, also die Annahme, "daß, weil künstlerische Produkte von einem kranken Menschen stammen, diese deshalb niedriger oder auch höher eingeschätzt werden dürfen". Von Jaspers übernimmt er den Vergleich mit der kranken Muschel, die eine Perle erzeugt, und nennt dies ein "schönes Bild". Brisanz gewann die Kontroverse mit der 1978 erschienenen Biographie von Pierre Bertaux. In ihr vertritt er die These, dass der angebliche Wahnsinn Hölderlins eine Maßnahme gegen die ihm drohende politische Verfolgung gewesen sei, die Hölderlin zum Spielen der Verrücktheit gewissermaßen gezwungen habe. Die Biographie von Bertaux wurde auch vor dem Hintergrund populär, dass in den westlichen Gesellschaften eine intensive kritische Auseinandersetzung mit der Institution "Psychiatrie" stattfand. Sie transportierte Ansichten der Anti-Psychiatrie (obwohl Bertaux diese nicht explizit vertrat) und brachte damit Hölderlin in die aktuellen kulturellen Debatten. Auch wenn Hölderlin sich sicherlich unliebsame Menschen durch ein Übertreiben der eigenen Verrücktheit vom Leib gehalten haben mag, geht die Leugnung seiner schweren psychischen Erkrankung zu weit. Dies zeigt sich beispielhaft in den Nürtinger Pflegschaftsakten, die eindrucksvolle Briefe von Erich und Lotte Zimmer enthalten. Sie wurden erst in den 1990er Jahren entdeckt. Rückblickende Bewertungen anhand von historisch geprägten Begriffen wie den jeweiligen psychiatrischen Klassifikationen sind naturgemäß grundsätzlich unsicher. Aus heutiger psychiatrischer Sicht ist es überdies gar nicht nötig, eine psychische Störung wie beispielsweise eine Schizophrenie auszuschließen, wenn man die späten Werke Hölderlins für sinnvolle und ästhetisch anspruchsvolle Kunstwerke halten will. Aktuelle literaturwissenschaftliche Untersuchungen belegen nachdrücklich die hohe Qualität, Sinnträchtigkeit und Eigenständigkeit der späten Gedichte Hölderlins.

(Quelle:Seite "Friedrich Hölderlin". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Februar 2020 )